Die deutsche ENIGMA und die kleine, einfache HAGELIN M-209 der USA
(Schlüsselmaschinen im
2. Weltkrieg)
von Max Altmann, DJ7RU
(Okt.
2003 / März 2004 )
Osteuropa war Ende der 30er Jahre eine Anlaufstelle für Emigranten und Demokraten, also Menschen gegen Hitler - und Krieg. Die Themen der intellektuellen Kreise in den Prager und Warschauer Cafes drehten sich im Wesentlichen um Krieg und Frieden. Die damalige Tschechoslowakei und Polen waren deshalb auch Tummelplatz europäischer Geheimdienste, Mathematiker und Kryptologen. Diese illustren intellektuellen Kreise wussten, dass sich Spezialisten der Wehrmacht mit einer geheimnisvollen Schlüsselmaschine ENIGMA - befassten; das Wort > ENIGMA < ist griechisch, heißt >Rätsel< und betont wird bei der Aussprache das E
Erfunden hat die ENIGMA der Konstrukteur Hugo Koch in den Niederlanden, der sich diese - Geheimschriftmaschine - 1919 patentieren ließ. Kurz danach verkaufte Koch sein Patent an den Deutschen Dr.-Ing. Arthur Scherbius aus Düsseldorf, der die Maschine durch eigene technische Lösungen verbesserte, unter anderem durch den ungleichmäßigen Rhythmus der Chiffrierwalzen. Zwei Jahre nach dem 1. Weltkrieg bot der Dr. Scherbius eine von ihm verbesserte ENIGMA der Marine an, die aber kein Interesse an dieser Chiffriermaschine zeigte.
Scherbius fertigte diese Maschine unter dem Namen E N I G M A in Serie und hoffte auf Käufer aus der Großindustrie, den Banken und dem allgemeinen Handel. Die Geschäfte gingen nicht so wie erwartet, obwohl die Reichswehr einige Maschinen gekauft hatte. Scherbius zog sich 1934 aus dem Unternehmen zurück und verkaufte die Firma an Dr. Heimsoeth und Elsbeth Rinke. Aber Scherbius war zu voreilig gewesen, den plötzlich setzte ein wahrer Boom für diese Geräte ein. Die Chiffriermaschinen-Gesellschaft Heimsoeth & Rinke produzierte und verkaufte von 1935 bis 1945 der Wehrmacht, der SS, dem SD, der Polizei und dem Auswärtigen Amt mehr als 100 000 ENIGMA-Geräte verschiedener Modelle und Typen sowie eine Menge von Zubehör und Ersatzteilen. Auch nach Japan, Spanien und Italien wurde die ENIGMA von der deutsche Abwehr verkauft. Bis 1934 gab es für Banken und Großunternehmen die ENIGMA noch auf dem freien Markt. Erst als die Reichswehr ihr Interesse an dieser Maschine intensivierte, wurde sie vom freien Markt genommen. Die mechanische Konstruktion der Maschine und ihre Wirkungsweise waren da aber bereits international bekannt.
Wie funktioniert die ENIGMA?
Ursprünglich arbeitete nach diesem Prinzip schon der einfallsreiche Julius Cäsar im alten Rom. Um Botschaften zu verschlüsseln, verschob er einfach die Buchstaben um eine bestimmte Anzahl von Stellen, zum Beispiel um vier Positionen, so erhielt er aus -A- eben -E- und so weiter.
Abbildung 1 Cäsar-Chiffre
Die mechanische ENIGMA-Maschine ist dagegen eine Erfindung des 20. Jahrhunderts, und es ist klar, dass das einfache System des Julius Cäsar verkompliziert werden musste. Eine Zahl von Schlüssel wurde ausgedacht, statt der Einzelbuchstaben erschienen so ganze Buchstabenblocks. Walzensysteme wurden eingesetzt, um diesen Vorgang technisch umsetzten zu können.
Beim Heer, bei der Luftwaffe und auch bei der Marine wurde bis Ende 1942 die Drei-Walzen-ENIGMA mit Steckerbrett eingesetzt. Auf der Vorderseite befindet sich ein schreibmaschinenähnliches Tastenfeld, dahinter ein Lampenfeld zur Anzeige der Buchstaben. Die Walzen haben drehbare einrastende Einstellringe, die für die Marine mit 26 Buchstaben bezeichnet waren und für die Heeres- und Luftwaffenausführung mit Zahlen von 1-26. Durch das Drücken einer Taste wird ein Stromfluss ausgelöst, der über die eingestellte Doppelsteckerverbindung durch die innere Verdrahtung der Chiffrierwalzen über die Umkehrwalze zurück zum Lampenfeld fließt.
Bei einem Tastendruck dreht sich die rechte Walze einen Schritt weiter und die mittlere Walze nach dem 27. Tastendruck. Das Codieren und Decodieren ermöglicht die Umkehrwalze ohne Umschaltung. Das heißt, ein eingegebener Klartextbuchstabe kann im Lampenfeld nie als gleicher Codier-Buchstabe aufleuchten. Das Arbeiten mit der ENIGMA beginnt immer mit der Eingabe des Tagesschlüssels.
Ein Tagesschlüssel setzte sich wie folgt zusammen:
Walzenauswahl, Walzenposition auf der Welle, Einstellung der Indexpunkte auf der Walze und dem Setzen der Doppelstecker am Steckerbrett. Dieses
lässige Verfahren wurde über die ganzen Kriegsjahre nicht geändert.
Abbildung 2: Drei-Walzen-ENIGMA;
Aber bereits Anfang 1940 war es nach England emigrierten polnischen Mathematikern, allen voran dem 1929 in Göttingen studierenden Marian Rejewski zusammen mit Oberst Gustave Bertrand vom französischen Geheimdienst gelungen, den Code der ENIGMA überwiegend zu entschlüsseln. Etwa Mitte 1940 starteten auch die USA die Operation >Magic< [1], um die japanische Enigma -Variante zu entschlüsseln, was ihnen Ende 1940 hauptsächlich durch die Unterstützung des polnischen Kryptologen R. Lewin auch gelungen ist.
Doch erst Anfang 1942, als die Engländer ein deutsches U-Boot kaperten, dessen Kapitän dem Funker nicht erlaubte, die ENIGMA mit allen Funk - und Schlüsselunterlagen über Bord zu werfen, waren die Experten vom MI 6 im Blechley Park in der Lage, die verschlüsselten Funksprüche in maximal 15 Minuten zu entschlüsseln. Der MI 6 erhielt von der U-Boot-Anlage nicht nur eine intakte ENIGMA, sonder auch noch das Tagesschlüsselverfahren für zwei Monate. Durch dieses unerwartete „Geschenk“ lasen und entschlüsselten die „Tommys„ mit maßgeblicher Unterstützung der Mathematiker und Kryptologen Alan Turing, Stuart Milner Barry und vor allem des polnischen Mathematiker Marian Rejewski, seit Mitte 1942 den Funkverkehr von und zu den Schiffen der deutschen Marine weitestgehend mühelos mit.
Dieser Erfolg brachte den Alliierten eine gravierende Wende der Seeschlachten zu ihren Gunsten und den Deutschen einen steigenden Verlust von Schiffen. Ab diesem Erfolg und dem damit verbundenen Arbeitsaufkommen weitete sich Blechley immer mehr aus, so dass bis zum Ende des Krieges bis zu 7000 Mitarbeiter im Schichtdienst mit Abhören und Entschlüsseln von Nachrichten der deutschen Wehrmacht eingesetzt waren. Auffallend war dabei die große Zahl an weiblichen Kräften, die Nachrichtenempfänger und andere technische Einrichtungen bedienten.
Aber woher wussten die Engländer, dass es die ENIGMA überhaupt gibt ?
Aller Wahrscheinlichkeit nach vom polnischen Geheimdienst, und weil es die ENIGMA in Deutschland bis 1933/34 im freien Handel zu kaufen gab.
Zwei Jahre vor Ausbruch des 2.W.K. erhielt der französische Botschafter in Bern / Schweiz, deutschen Besuch. Der unbekannte Deutsche (ein ehemaliger
Mitarbeiter der Berliner ENIGMA-Firma) bot dem Botschafter geheime Unterlagen der Wehrmacht an. Nach diesem Gespräch fuhr der französische
Geheimdienst-Offizier Gustav Bertrand nach Prag, um von dem deutschen Mittelsmann diese Unterlagen in Empfang zu nehmen. Erst 30 Jahre nach
Kriegsende wurde bekannt, dass es dem Mathematiker und Kryptoanalytiker Alan Turing, Deckname Tom Jericho, beim britischen Geheimdienst in der
Nachrichtenaufklärung im Blechley Park gelungen war, durch ein von ihm entwickeltes Verfahren und mit Hilfe der BOMBA–Maschinen (mechanische
Großrechner) seit Ende 1941 eine große Zahl der von den Deutschen gesendeten Funksprüche zu entschlüsseln. Weitere Blechley Park Experten bei
dieser bisher größten Nachrichten-Entschlüsselung waren Sir Harry Hinsley (Marine-Abteilung) und Margaret Macintyre (Dechiffrierabteilung) in der
Baracke 6, um nur einige zu nennen.
Auf allen Meeren, vom Ärmelkanal bis zum Indischen Ozean, vom Pazifik bis zur Arktis, kämpften im 2. Weltkrieg U-Boote ihren erbarmungslosen und einsamen Kampf. Ihr Trefferglück gab häufig den Ausschlag am schwankenden Barometer des Seekrieges. Ihre Erfolgs- und Pechserien wirkten sich unmittelbar auf die gesamte Nachschublage aus. Aufgrund der langen Zeit auf See, hatte der Tagesschlüssel bei der Marine, besonders bei den U-Booten, eine Gültigkeit von bis zu zwei Monaten. Das OKW war nämlich der Überzeugung, dass ein Einbruch der alliierten Streitkräften in ihr System nicht möglich sei, und dieser Irrglaube war „tödlich"!
Details über die U-Boot-Kriegsführung, z.B. im Nordatlantik, liegen entschlüsselt im Public Record Office in London vor und sind gegebenenfalls einsehbar;
in diesen Archiven liegen auch die Invasionspläne des OKW gegen England auf sowie die chronologischen Operationsetappen zur Entschlüsselung der
ENIGMA:
1. Operation polnischer Mathematiker und Kryptologen in Polen.
2. Polnisch-französische Anti-ENIGMA-Zentren in Frankreich.
3. Operation Ultra in Großbritannien, ohne persönliche Beteiligung polnischer Experten.....?!
4. Operation MAGIC in den USA gegen die von Japan benutzten ENIGMA Funk - und Fernmeldenetze [2]
Winston Churchill sagte einmal, dass die Entschlüsselungserfolge an der ENIGMA England vor einer Niederlage im Jahre 1941/42 gerettet und die Dauer des Krieges um 2 Jahre verkürzt habe. Mit dieser Behauptung, oder meinetwegen auch Ansicht, möchte England der Öffentlichkeit einreden, dass die deutsche Wehrmacht ihren entscheidenden Niederlagen nicht in den Schlachten von Moskau, bei Stalingrad und Kursk erlitten, sondern im Funkaufklärungszentrum B l e c h l e y P a r k !
Tatsache ist, dass die Entschlüsselung der ENIGMA - Funksprüche nur einen Teilaspekt der Funkaufklärung umfasste, die ihrerseits wiederum nur einen Bereich der strategischen, operativen und taktischen Aufklärung bildete, aber nicht alleine kriegentscheidend war. Zu berücksichtigen ist auch die Tatsache, dass nicht der gesamte geheime Funkverkehr der deutschen Wehrmacht mittels der ENIGMA verschlüsselt wurde, sondern auch durch eine Reihe anderer Chiffrierverfahren. Daraus er gibt sich zwangsläufig, dass man in Blechely keineswegs in der Lage war, jeden wichtigen Funkspruch der Deutschen, Italiener und Japaner mitzulesen. Darüber mit Engländern am Abend in einem >Inn< Nähe Blechley zu diskutieren, ist sehr interessant, und so lange der Patriotismus unter Kontrolle ist und auch nach dem 5. Bier, Gin oder Whisky unter Kontrolle bleibt, ist der Informationsaustausch auch sehr lehrreich. Unterbrochen wird das „Fachsimpeln“ nur durch das wiederholte CHEERS......
Aber nicht nur die Engländer waren beim Entschlüsseln der Funknachrichten erfolgreich. Man darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen, dass die deutsche Abwehr während des 2. Weltkrieg über ein hochentwickeltes Geheimdienst-System verfügte, darunter das damals modernst ausgerüstete Funkspionagenetz mit leistungsfähiger Chiffrier- und Dechiffrier- sowie Kryptoanalysetechnik. Dadurch gelang es der deutschen Wehrmacht, in den geheimen Funkverkehr der Westalliierten einzudringen und aus den sehr leicht zu entschlüsselnden Hagelin M-209 Informationen zu gewinnen, um auf diese Weise zumindest einen Teil der Aufklärungsvorteile der Westalliierten zu neutralisieren.
Als die USA durch den japanischen Angriff auf Pearl Harbor im Dez. 1941 endlich einen Grund hatten, auch in den 2. Weltkrieg einzusteigen, (F.D. Roosevelt wurde zwar durch den Geheimdienst und auch durch das Ministry of External Affairs (MEA ) zwei Tage vor dem Angriff informiert, hatte aber das strategische H.Q. auf Pearl Harbor nicht informiert und bewusst Menschen und Material geopfert, um beim 2. Weltkrieg mitspielen zu können), waren die Amerikaner nur unzureichend auf das Schlüsselwesens vorbereitet. Die US-Kryptologen arbeiteten Anfang des Krieges noch überwiegend mit dem einfachen Cäsar-Schlüsselverfahren. Sie entschlossen sich aber sehr schnell, ihre Streitkräfte mit dem CONVERTER HAGELIN M-209 auszurüsten. Erfunden hat diese Schlüsselmaschine 1937 der schwedische Ingenieur Boris Hagelin, der 1941 vor der Gestapo von Schweden über Deutschland mit seinen Originalplänen im Maßstab 1:1 nach den USA flüchteten konnte. Die N.Y. Firma L.C. Smith & Corona Typewriters Inc. erwarb die Lizenz und produzierte täglich eine große Stückzahl und bis Kriegsende insgesamt mehr als 140 000 Exemplare. Im Prinzip besteht die M-209 aus einem System von Walzen und Zahnradscheiben, die in wechselnde Positionen gedreht werden. Eine besondere Mechanik sorgt dafür, dass dies in einer unregelmäßiger Reihenfolge geschieht, und zwar mit möglichen Einstellungen von mehr als 100.000.000, die ENIGMA hingegen mit 150.000.000.000.000.000.000 : 1. Im Vergleich mit der ENIGMA arbeitet die M-209 ausschließlich mechanisch, und die verschlüsselten und entschlüsselten Nachrichten wurden auf einen Papierstreifen gedruckt. Weil die verschlüsselten Texte der M-209 von Experten relativ leicht zu knacken waren, wurde der Schlüssel bei den US-Streitkräften mehrmals täglich geändert.
Die HAGELIN M-209 war auch noch während des Koreakrieges im Einsatz und ist deshalb bei den Koreanern und
auch bei den Japanern ein
heiß begehrtes Sammelstück ! Bei mehreren Informationsreisen zwischen Manila (unser Hauptwohnsitz in der 60er Jahren) und Saigon während des
Krieges Mitte 1967 konnte ich den Gebrauch der M-209 aus dem 2.W.K auch noch im Einsatz bei der US-Armee beobachten. Acht Jahre später
im Sommer 1975 habe ich während der marxistisch-leninistischen Revolution in Dahomey / Westafrika, dem jetzigen Benin, bei den Rebellen nördlich der
Hauptstadt Cotonou wieder eine aktive M-209 im Einsatz beobachtet. Ich vermute, dass die M-209 Maschinen als Beutestücke zusammen mit den
vietnamesischen und chinesischen Ausbildern und Militärberatern nach Benin gelangten.
Abbildung 3: HAGELIN M-209 geschlossen
Abbildung 4: M-209 geöffnet
Was es sonst noch Wissenswertes und Interessantes gibt, erfährt man bei einem Besuch im ENIGMA - Museum im Blechley Park ca. 70 km nördlich von London.
Mit kleinen technischen Änderungen war die ENIGMA bis Mitte der 80er Jahre, neben der Schweizer Marke NEMA, auch noch beim BGS sowie alliierten Einheiten in Deutschland im Einsatz.
Fazit: Schlüssel - Maschinen gibt es noch bei Sammlern von elektronischen Geräten aus dem 2. Weltkrieg und gelegentlich auch im US - ebay, die ENIGMA zum Preis von ca. US $ 15.000 und die HAGELIN für ca. US $ 4.000! Etwas billiger ist das umfangreiche virtuelle ENIGMA - Programm auf Diskette (Euro 15,-) von Franz Fick DL1YO / MF 160, sowie die CD-ROM >The Code Book< von Simon Singh zum Preis von £ 5.- (Blechley Park). Mit dieser CD-Rom lassen sich auch alle erdenklichen ENIGMA Einstellungen praktisch anwenden, z.B. Verschlüsseln, Entschlüsseln und auch Transportieren. Selbst das originale Geräusch beim Drücken einer Taste sowie das Einstellen der Walzenringe ist akustisch hörbar. Außerdem erfährt der Anwender auf sehr anschauliche Weise die Geschichte und Entwicklung zahlreicher Schlüsselsysteme von Cäsar bis in unsere heutige Zeit.
Abbildung 5: ENIGMA-Award des (polnischen) SPDXC Quelle: [1
u. 2] W. Kozacuk
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